Corona nervt. Die Regeln zum Eindämmen der Pandemie greifen schon lange in unser persönliches Tun ein. Sie lassen Wettkämpfe ausfallen, nehmen uns Perspektiven und machen jede Form von Planung zunichte. Da freut man sich monatelang auf die legendäre Winter5Trails Serie "von Freunden für Freunde" und dann wird gleich zu Jahresbeginn der erste Termin abgesagt. Die Begründung ist nachvollziehbar: "So, wie wir die Winter5Trails lieben, können wir sie nicht ohne Risiko umsetzen" und doch ist das alles sehr frustrierend. Dabei ist mittlerweile wissenschaftlich erwiesen, dass die Ansteckungsgefahr beim Sport unter freiem Himmel sehr gering ist und zudem die Bewegung den menschlichen Organismus und unser Immunsystem mehr unterstützt, als dass sie ihm schadet. Der kleine Prinz, aus dem Carsten allabendlich vorliest, würde sagen: "...die großen Leute sind zuweilen sehr wunderlich."
Was aber tun, wenn man Regeln, die dem Allgemeinwohl dienen nicht missachten möchte, gleichwohl jedoch täglich mit persönlichen Einschränkungen ringt, die es einem sehr schwer machen für das eigene Wohl zu sorgen?
Ein Blick in Schriften des amerikanischen Philosophen Reinhold Niebuhr (1892-1971) erinnert uns daran, dass es uns unnötig Kraft und Lebenszeit kostet, sich über Dinge zu ärgern, die wir nicht beeinflussen können. Die Wissenschaft rät, dass wir unsere Aufmerksamkeit stattdessen lieber auf diejenigen Aspekte des Lebens lenken, die wir beeinflussen können. In der Gründungsforschung gibt es einen Zweig, der sich Effectuation nennt (abgeleitet von „to bring about effect“ = was übersetzt so viel bedeutet, wie einen Effekt erzeugen oder etwas bewirken).
Jahrelange Feldforschung von Saras Sarasvathy (2009) für Denken, Entscheiden und Handeln unter Ungewissheit, fasst die Strategien und Techniken der Profis im Entscheiden und Handeln unter Ungewissheit in fünf Prinzipien zusammen. Da ich mich selber über eine Dekade lang mit diesem Themenfeld befasst habe, liegt es nahe, dieses Wissen in unsere Läuferwelt zu übetragen. Vielleicht hält es eine spannende Einsicht für uns bereit?
# Starten bei vorhandenen Mitteln
Worin besteht unser Problem? Wir können unsere liebgewonnenen Trainingseinheiten mit Freunden nicht mehr wahrnehmen. Der Lauftreff läuft nicht mehr und so weiter uns so fort. Wo aber gelangen wir hin, wenn wir uns fragen, was wir über das uns Bekannte hinaus noch tun können? Was wird möglich, wenn wir uns auf der Basis unserer Persönlichkeit, Interessen, Werte (Wer ich bin), dessen, was wir können (Fähigkeiten und Fertigkeiten) und wen wir kennen (unser Netzwerk) nach alternativen Handlungsmöglichkeiten umschauen? In meiner Welt entstehen enge Verbindungen zu Menschen, die ich bisher „nur“ vom Laufen kenne, da man bei vielen gemeinsamen Stunden im Wald über Dinge zu sprechen kommt, die man für gewöhnlich nicht bei einem kurzen Feierabendründchen auspackt. Webaffine Freunde basteln Homepages für virtuelle Läufe und tradierte Wettkampfrouten werden einfach mal verkehrtherum gelaufen. Hat auch etwas – man begegnet dem ganzen Teilnehmerfeld einmal 😊.
# Ziele und Pläne flexibel halten
Grade in Zeiten der Pandemie, in der liebgewonnene Planungen immer wieder durch Regeln und Verbote über den Haufen geworfen werden wird uns klar: wir müssen in unseren Zielen und Plänen flexibel bleiben. Unter Unsicherheit und Ungewissheit frustriert es, sich auf feste Ziele zu fokussieren und zu freuen. So haben wir für den Sommer 2022 ein ganzes Pottpurri an Möglichkeiten geschaffen, von denen wir dann zu gegebenem Zeitpunkt jene auswählen können, die umsetzbar sind. Und das kennt ihr sicher auch – einmal auf den Weg gemacht, zeigen sich häufig attraktive Gelegenheiten und so auch neue Ziele und Pläne – die man vom heimischen Küchentisch aus nie formuliert hätte.
Ihr fragt euch, was wir den Sommer über machen? Nun ja, Trailrunning-Reisen, sofern die Hütten offen sind und wir in kleinen Gruppen laufen können. Hüttenwanderungen und videografische Etappenrennbegleitung, sofern die Wettkämpfe stattfinden. Und falls das alles nix wird, fragen wir uns morgens einfach: Was können wir heute tun? …und was vielleicht außerdem noch? …so beginnen oft die verrücktesten Tage.
“Life is What Happens To You While You're Busy Making Other Plans.”
— John Lennon.
Ich stelle mir gerne die Frage: "Was, wenn ich es heute tue, macht den größten Unterschied für mich an diesem Tag?" Das kann die Vorbereitung der Steuererklärung sein, ein ausgedehnter Traillauf, ein Anruf bei einer Freundin oder einfach nur eine heiße Badewanne. Womit bereicherst du heute deinen Tag?
# Einsetzen, was wir im Verlustfall verkraften können
Wenn man in ein Abenteuer startet, dann packt man seinen Rucksack mit dem, was man zu brauchen glaubt und lässt den Rest auf sich zukommen. Dies impliziert bereits der Begriff "Abenteuer" an sich. Insbesondere, wenn wir uns in Gewässer, Täler oder eben Themenbereiche vorwagen, in denen wir uns nicht auskennen. Was aber ist möglich, um kein allzu großes Risiko der Enttäuschung oder finanzieller Art einzugehen? Wir definieren von vornherein, was wir zu investieren bereit sind und was wir auf keinen Fall verlieren dürfen. Dazu zählt die Kohle, die wir auf den Tisch legen, Ressourcen, die in Planung und Durchführung fließen aber auch so etwas wie Zeit und Reputation, die möglicherweise auf dem Spiel steht. Ich hätte im März 2021 beispielsweise unglaublich gerne einen Mädels-Trailworkshop angeboten. Das haben wir noch nie gemacht, insbesondere nicht in Zeiten der Pandemie. Wir sind alle Aspekte durchgegangen und haben unsere Idee letztlich doch nicht in die Welt gebracht. Einen Workshop bewerben, in einer Zeit, in der keiner weiß, wann man wieder in der Gruppe laufen darf? Das können wir nicht bringen – haben wir uns gedacht. Und so entschieden wir uns gegen unser Herz und dafür noch ein wenig die Füße still zu halten. Aber ihr kennt das sicher auch: entwickelt sich eine Idee zu einer Herzensangelegenheit, dann will diese irgendwann in die Welt gebracht werden. Koste es, was es wolle. Und so startete ich im Herbst 2021 meinen ersten Trailkurs für Kopf und Herz. Ein kleiner Pilot, der viel Freude und gemeinsame Kilometer brachte und bei dem ein oder der anderen sogar für persönliche Entwicklung und Veränderung sorgte. Am 22. Januar geht der Kurs in eine zweite Runde. Dann mit ausgearbeitetem Workbook, gescouteten Strecken und einer Portion Erfahrung mehr. Lust dabei zu sein? Infos findest du hier.
# Umstände und Zufälle nutzen
„Autsch!“ Wer kennt das nicht! Man bereitet sich über viele Monate auf einen Wettkampf oder ein Abenteuer vor und kurz vor dem Start werden wir krank, verletzen wir uns oder macht uns eine aufflammende dritte Welle in der Pandemie und die Absage des heiß ersehnten Events einen Strich durch die Rechnung. Frust ist angesagt und das Mitgefühl unseres Umfeldes bestätigt uns die Misere. Wirklich? Es gäbe heute keine Post-its, hätte 3M die Entwicklung des Klebstoffes eingestellt, weil dieser anstatt zu kleben nur haftete. Die Frage, die uns aus einer solchen Lage befreien kann lautet: Was können wir JETZT mit den uns zur Verfügung stehenden Möglichkeiten tun? Vielleicht das Etappenrennen als Selbstversorger laufen, Freunde auf der Hütte besuchen und die Radkilometer des Triathlon auf dem Weg nach oben absolvieren, Meditieren und das langersehnte Herzensprojekt auf die Bahn bringen, weil wir verletzt nicht laufen können. Die Welt ist voller Möglichkeiten und wir wissen alle nicht, wieviel Zeit uns hier bleibt. Also lasst den Kopf nicht allzu lange hängen. Es ist lohnenswert aufzustehen, sich den Dreck von den Knien abzuklopfen und einen neuen Weg einzuschlagen. Es könnte das Projekt oder der Lauf deines Lebens sein!
Niemand hat es so treffend formuliert, wie Theodor Roosefelts 1910 in seiner Rede: "The man in the arena":
"It is not the critic who counts; not the man who points out how the strong man stumbles, or where the doer of deeds could have done them better. The
credit belongs to the man who is actually in the arena, whose face is marred by dust and sweat and blood; who strives valiantly;…who at the best knows in the end the triumph of high achievement,
and who at the worst, if he fails, at least fails while daring greatly.”
― Brené Brown, Rising Strong: How the Ability to Reset Transforms the Way We Live, Love, Parent, and Lead
# andere Köpfe einbinden
Mal ganz ehrlich: Ich bin nicht immer die hellste Birne. Macht auch nix. Die besten Ideen entstehen ohnehin zwischen den Köpfen. Deshalb ist es so wichtig, andere an den eigenen Einfällen teilhaben zu lassen und sich für die gemeinsame Weiterentwicklung spannender Ideen und Projekte zu öffnen. Denn die Theorie und Senieren über das Mögliche sind nur der erste Schritt. Wenn es an die Umsetzung geht, profitieren wir sehr von einem Partner oder einer Partnerin. Zumindest einen Buddy dürfen wir uns bei der Verwirklichung unserer Herzensangelegenheiten mit an Bord nehmen. Das bringt Freude und Verbundenheit – grade in Zeiten von Corona.
Welches verrrückte Projekt hast du in der Pandemie entwickelt, welche Ideen warten darauf von dir in die Welt gebracht zu werden? Wir brennen darauf zu erfahren, was dich durch die Pandemie bringt! Teile es mit uns in einem Kommentar!
Wir sind mit Beginn des ersten großen Lockdown im März 2020 in unser Van.Life gestartet. Sprich, wir haben uns so einen Camper angeschafft, was schon ein Abenteuer an sich war. Dieser sprang voll beladen für seine Jungfernfahrt nämlich nicht mehr an. Steuergerät kaputt. Musste aus Italien geliefert werden. Dort arbeitete natürlich keiner im Lockdown und so weiter und so fort... Fazit: Erst vier Wochen später konnten wir in unser Elternzeitabenteuer starten... und das hatte es in sich! ...es brauchte viele Köpfe zum Helfen, Reflektieren, Auto reparieren ...und eine beachtliche Portion persönlichen Wachstums, aber das ist eine andere Geschichte.
# Kompass selbst in die Hand nehmen
Wir haben es in der Hand, in welche Richtung wir laufen wollen. Wenn wir uns auf die Dinge konzentrieren, die wir beeinflussen können, wie unsere Ressourcen, unseren leistbaren Einsatz und die Vereinbarungen, die wir eingehen, sind wir den sich verändernden Umständen und Zufällen nicht so ausgeliefert, wie wenn wir versuchen Prognosen darüber zu formulieren, was in den nächsten Wochen und Monaten möglich sein wird oder nicht. Carsten und ich planen auf Sicht. Glauben daran, dass in diesem Jahr die Camps im Mai, Juni, September und Oktober stattfinden und halten die Gruppen klein, so dass uns auch eine Verschlechterung der Lage nicht sofort in die Not bringt, alles absagen zu müssen. Ihr wollt mit? Einzelne Plätze haben wir noch frei. Schaut hier.
Mal ganz ehrlich: es sind immer die einzelnen kleinen Schritte, die uns den Berg hinauf bringen. Falls ihr keine Idee habt, wofür euer Herz grade schlägt oder in welche Richtung ihr losgehen sollt, dann schaut euch euer Rad des Lebens an und stellt die Frage: Inwieweit ihr in den einzelnen Bereichen eures Lebens bereits lebt, was ihr leben möchtet und findet heraus, wo noch Potential nach oben ist! Eine Vorlage habe ich im Trailkurs: Laufen mit Kopf & Herz entwickelt. Wenn ihr sie haben möchtet schreibt mich kurz an. Ich lasse sie euch gerne zukommen; kostenlos versteht sich :-) Kontakt
Wir alle haben ein reiches Potpourri an Ressourcen, das uns völlig neue Horizonte eröffnen kann, wenn wir es zulassen. Beginne doch einmal bei dir. Allein „wer du bist“, also deine Persönlichkeit, dein Wesen, dein Charakter ist einmalig und voller unentdeckter Möglichkeiten.
Ich glaube wir dürfen sehr dankbar für das sein, was wir leben dürfen. Manchmal hilft es über den Tellerrand, den eigenen Horizont zu schauen, um sich bewusst zu werden, wie gut wir es eigentlich haben. Trotz all der Misere um Corona, trotz unseres Schicksals und all der Alltagsherausforderungen, Krankheiten und der schweren Themen, mit denen wir uns zuweilen herumschlagen. Morgen geht auch für dich wieder die Sonne auf!
Also, was kannst du heute tun, um diesen Tag zu einem ganz besonderen Tag werden zu lassen?
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Svenja Hoffmann (Freitag, 14 Januar 2022 16:21)
So schön geschrieben, liebe Laura � ich freu mich auf weitere Abenteuer mit euch!
…und genau, es ist schön, einen Buddy an Board zu haben … ☺️
Stefan Melcher (Mittwoch, 19 Januar 2022 09:07)
Eine Freude zu lesen und der private Bezug zu "Effectuation" sehr inspirierend. Freue mich schon auf die hoffentlich baldige nächste Laufrunde mit Euch :-)
Andreas Weber (Donnerstag, 20 Januar 2022 14:35)
Schöner Text, ich laufe dann heute nach der Arbeit mal zum Baldeneysee :-)