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Stephan Weißner auf den Azoren - Golden Trail Championchip 2020

Horta Airport (Faial, Azoren), Mittwoch, der 27.10.2020 12:04 Uhr

 

Ich komme aus dem provisorischen Lazarettzelt in welchem die Anmeldung über die Einreise und somit auch die Kontrolle sämtlicher Dokumente inklusive des negativen Coronatests überprüft werden. Ich bin also auf der Insel eingecheckt und darf am Wettkampf teilnehmen. Erleichterung. Die Zeit der Ungewissheit ist endlich vorbei. Das war der Moment worauf ich 4 Wochen lang hingefiebert habe. Mögen die Spiele beginnen.

Was bisher geschah…

Durch Zufall habe ich im Juli erfahren, dass aufgrund der nicht stattfindenden Qualifikationsläufe der Goldentrail Series für das Finale der Goldtentrail Championchip (GTC) eine Lotterie eingerichtet wird. Das GTC war als Etappenlauf organisiert. 4 Etappen zwischen 25 und 35 km mit 1.500 bis 2.500 Höhenmetern an vier aufeinander folgenden Tagen. Warum eigentlich nicht habe ich gedacht. Angemeldet und überhaupt keinen einzigen Gedanken mehr daran verloren. Bis ich am 22.09.2020 um 19:12 Uhr fast von der Couch gefallen bin als ich die Bestätigung über die Teilnahme per e-mail bekommen habe. Ich darf mich also auf den Azoren mit den weltbesten Athleten unseres Sports messen. Trau ich mir das überhaupt zu? Bin ich gut vorbereitet? Es war leider so, dass mich Ende August eine heftige Grippe erwischt hatte, welche mich mit ihren Nachwirkungen 7 Wochen außer Gefecht gesetzt hatte. Ich hatte demnach nicht die besten körperlichen Voraussetzungen, war mir aber auch sicher, dass ich mir diese Chance nicht entgehen lassen kann. 

 

Die Zeiten waren ungewiss und die Reiseplanung habe ich bis zum letzten Moment hinausgeschoben. Irgendwann kristallisierte sich dann aber tatsächlich heraus, dass die Azoren nicht zum Risikogebiet ernannt werden, ein Transit durch Lissabon unbedenklich war und die Planung zur Reise angegangen werden konnte. Alles gebucht und ab ging die Reise.

 

Ankunft

Zentraler Ort des GTC war Horta auf der Insel Faial. Ein kleines Hafenstädtchen im Süden der Insel, 15 Minuten vom Flughafen entfernt. Horta ist von hübschen, sehr farbenfrohen kolonialen Bauten geprägt, sehr übersichtlich und mit der nötigen Infrastruktur (Bars, Restaurants, Supermärkte, Apotheke etc.) ausgestattet. Der Yachthafen dient als Anlaufpunkt für transatlantische Segler. Das Segeln und der Hafen bestimmen daher das Wesen dieser Stadt. 

Und jetzt kommt eine ganze Horde Trailrunner. Man wurde schon interessiert beäugt, aber definitiv sehr herzlich willkommen geheißen. Es wurde durchgehend sehr gutes englisch gesprochen, sodass sich mein Portugiesisch auf „Olá Bom Dia (Hallo und Guten Tag)“ und „Obrigada/Obrigado (Dankeschön)“ beschränkte. 

Gewohnt habe ich im Hotel Internacional, welches sich in einem alten, geschichtsträchtigen Kolonialgebäude direkt am Hafen mit Blick auf den Pico (Vulkan auf der Nachbarinsel und höchster Berg Portugals) in herrlichster und zentraler Lage befand. 

Im Vorfeld habe ich Kontakt zu Jan Holbein aufgenommen, der ebenfalls über die Lotterie einen Startplatz gewonnen hatte. So konnten wir das ein oder andere schon planen. Er wurde von seiner Schwester begleitet, welche unseren Shuttle- und Support-Service übernommen hat. Das war wirklich Gold wert.

 

Registrierung

Auf ins Hotel. Eingecheckt und direkt wieder los zur Registrierung. Meine Startnummer mit der 199 abgeholt und im Laufschritt zum Start des Prologrennens, welches am Rande von Horta stattfand.

 

Prolog

Der Prolog hatte den Zweck die Startreihenfolge und die coronabedingten Slots zu bestimmen. Desto schneller desto weiter vorne. Die Slots, aus welchen auf den folgenden Etappen gestartet wird, bestanden aus 50 Personen. Zunächst die Top 50 Männer, dann Top 50 Frauen und danach noch zwei weitere Slots, sozusagen die Economyclass. 

Ich habe mir vorgenommen, im Prolog nicht zu überpacen und meine Kräfte zu sparen. Der Prolog war ein Rundkurs über zwei direkt am Meer gelegene Hügel sowie über den an Horta grenzenden Sandstrand. Die Strecke hatte eine Länge von 3,5 km mit 200 hm. In einer Zeit von 21:22 reichte es für Platz 123. Das hieß mein Start erfolgte am nächsten Tag in Slot 3. Ich konnte also gemütlich ausschlafen und frühstücken. No Stress, genau mein Ding. 

Hinzu kam, dass wir so die Möglichkeit hatten, die Athleten der ersten beiden Slots am Start oder an der Strecke treffen und ordentlichst anfeuern zu können. War das ein Spaß. Danach war man so richtig heiß aufs Laufen, egal wie man sich vorher gefühlt hatte. Und dem ein oder anderen Athleten hat das Anschreien sichtlich motiviert.

 

Etappe 1

Die erste Etappe startete im Nord-Osten, führte über die Caldeira in den Norden, von da an immer an der Küsten entlang und endete im Westen am Leuchtturm und Vulcao dos Capelinhos. Das Wetter war den Vorhersagen entsprechend regnerisch und stürmisch bei allerdings angenehmen Temperaturen zwischen 17 bis 20 Grad. Insoweit alles auszuhalten. Die Etappe war mit 25 km und 1.100 hm angesetzt. Es ging knapp 1.000 hm rauf auf die Caldeira, den größten Vulkankrater der Insel Faial. Von Photos wusste ich, dass der Krater mit seinem 1.450 m Durchmesser total imposant ist und freute mich schon auf die Einblicke. Hier wusste ich noch nicht, dass ich an allen 4 Wettkampftagen froh sein konnte im Nebel und Regen auf dem Kraterrand überhaupt den Weg vor mir zu sehen und nicht vom ständigen Sturm von diesem Weg runter geweht zu werden. 

Die Natur war so überwältigend, dass man das Wetter und die Bodenverhältnisse tatsächlich gar nicht mehr so richtig wahrnahm. Über Wiesen und durch den Urwald ging es auf und ab. Nach dem Downhill von der Caldeira kamen wir an die Küste. Auf circa 4 km ging es dann am Meer, durch Wälder und über Lavafelder Richtung Vulcao dos Capelinhos. Es war so ein unbeschreiblich pures Gefühl in dieser Kulisse zu laufen. Das wilde Meer auf der einen Seite und der Dschungel und die Lava auf der anderen. Mehr Abwechslung geht fast nicht. Das Ziel lag direkt unterhalb des Leuchtturms. Man konnte den finalen Downhill durch schwarzen Lavasand so richtig fliegen lassen. Mit einer Zeit von 3:17 im Ziel angekommen stellte ich dann doch fest, dass wir bei den angegebenen Höhenmetern einen Gratiszuschlag von 400 hm erhalten haben. Die Veranstalter waren auch auf den nächsten Etappen in Geberlaune, sodass stets ca. 20 % Höhenmeter mehr, locker drin waren. 

Nach einem solchen Lauf ist natürlich Energierückführung das A und O. Diese erfolgte durch Pizza und einem Bier in der Pizzeria unseres Vertrauens in Horta. Danach gehörte das Auswaschen des Urwaldschlamms aus den Laufklamotten und Schuhen zum täglichen Ritual. Im Anschluss dann noch entspannen, bevor es zum Abendessen ging. Früh ins Bett um dem Körper so viel Ruhe als möglich zu gönnen. Es kommen ja noch drei Tage und drei sehr anstrengende Etappen.

Etappen 2 bis 4

Die übrigen Etappen starteten sämtlich am Vulcao dos Capelinhos und führten immer zur Caldeira. Etappe 2 (25 km 1500 hm 3:09) und 3 (31 km 1800 hm 4:32) führten dann auch wieder zurück zum Leuchtturm selbstverständlich über verschiedene Wege. 

Die dritte Etappe war ursprünglich mit einer Besteigung des 2.351 m hohen Vulkans Pico auf der gleichnamigen Nachbarinsel geplant. Das wäre sicherlich das absolute Highlight geworden. Der aufkommende Sturm verhinderte dies allerdings, und so fand auch die dritte Etappe auf Faial statt. 

Die vierte Etappe (35 km 1900 hm 5:41) führte dann einmal quer über die Insel, südlich der Caldeira, deren Grad wir wegen Sturm nicht belaufen konnten, bis in den Osten der Insel. Die heutige Strecke hatte nochmal ein paar mehr sehr technische und unlaufbare Passagen, sodass ich aufgrund fehlender Kraft und Motivation irgendwann auf den Survivalmodus umgeschaltet habe und auf verletzungsfreies Ankommen gelaufen bin. 

Die Strecken waren allesamt sehr anspruchsvoll und einem Championchip auf allerhöchstem Niveau voll würdig. Es war sportlich und auch mental das härteste was ich bisher erlebt habe. Ich war dementsprechend im Ziel froh, dass es tatsächlich geschafft war. Vor allem unverletzt. Auf der anderen Seite schwebte natürlich auch Wehmut mit, dass das Abenteuer Azoren jetzt vorbei war. Die Erinnerungen werden mich allerdings noch sehr immens und sehr lange begleiten, da bin ich mir sicher.

Am nächsten Tag, Montag den 02.11.2020, hatte ich noch zur freien Verfügung. Das Wetter wurde besser und ich konnte die Herrlichkeit der Insel, insbesondere auch die Caldeira doch noch bei Sonnenschein erleben. Das war schon versöhnlich. Eine traumhafte schöne Insel und jede Reise wert.

 

Zusammenfassung

In normalen Zeiten hätte man sich sicherlich ausführlicher über das Wetter geärgert. Dies geriet aber tatsächlich in den Hintergrund. Ich war einfach nur froh, dass ich an diesem einmaligen Event teilnehmen durfte und mich tatsächlich mit den besten Athleten unseres Sports messen durfte. Aber auch abseits vom Sport kam es zu Gesprächen, Treffen und Abendessen unter Sportlern. Insbesondere mit den Athleten des deutschen Teams, welches mit Benedikt Hoffmann, Lisa Risch und Ida-Sophie Hegemann stark besetzt war, konnten wir am letzten Abend zusammen essen und uns über unsere Erlebnisse austauschen. So kam hinzu dass man mindestens viele neue Bekanntschaften wenn nicht sogar Freunde gefunden hat. Hierzu zähle ich insbesondere Jan Holbein, mit welchem ich den Trip unbekannterweise zusammen geplant und angegangen bin. Es stellte sich heraus, dass wir voll auf einer Wellenlänge sind und sicherlich noch das ein oder andere gemeinsame Abenteuer zusammen erleben werden. Und das sind die Momente die einem nochmal aufzeigen, dass unser Sport zum großen Teil von herrlichen, vielseitigen und herzlichen Menschen betrieben wird und der Sport als solches nur die Tür zu viel mehr sein kann. Ich wurde reich beschenkt und bin unendlich dankbar. Dankbar bin ich übrigens auch meiner Frau, welche mich so spontan hat ziehen lassen, auch wenn Sie nicht nachvollziehen kann warum man an 4 Tagen 120 km mit knapp 7.000 hm über eine Insel der Azoren laufen muss, so versteht sie und fühlt sie doch meine Liebe und meine Leidenschaft für meinen Sport. 

 

Schlussendlich danke ich auch noch euch beiden, Laura und Carsten, dass ihr mich hier über meine Erlebnisse berichten lasst und hoffe, dass sich der ein oder andere über den Artikel freut und vielleicht das ein oder andere für sich herausziehen kann.

 

Es war mir eine große Freude!

Stephan

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Georg Husemann (Dienstag, 21 Februar 2023 18:42)

    Hallo Stephan, wunderbare Erlebnisse bleiben, besonders über die Pandemie hinweg. Toll. Bin drauf gestoßen, weil ich im Orgateam des Königsforst Ultra bin und wir ambitionierte Ultra Athleten auf unser noch junges neues Angebot aufmerksam machen. Ich habe deinen Namen in der Ergebnisliste vom Röntgenlauf entdeckt. Vielleicht passen 3x 21.1km ja gut in deinen Frühjahrsplan 2023 und wir sehen uns am 19.03. in Bensberg. Infos unter koenigsforst-marathon.de . Sportlichen Gruss. Georg Husemann

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